Über die Bedeutung von Fediverse und Open Source

von | 16. Mai, 2023 | Alternativen zum (digitalen) Kapitalismus, Bildungsmedien, tech. Infrastrukturen

Fediverse branches

Die zunehmende Dominanz zentralisierter Plattformen und proprietärer Technologien (z.B. Software, die das Recht und die Möglichkeiten der Wieder- und Weiterverwendung sowie Änderung und Anpassung durch Nutzer:innen und Dritte stark einschränkt) führt zu wachsender Sorge um Privatsphäre, Datenkontrolle und Monopolbildung (Zuboff, 2019; Fuchs, 2017) oder auch zu einer Verschiebung menschlich-sozialen Handelns innerhalb einer Kultur der Digitalität, die nicht von Demokratie, Partizipation und Commons, sondern von teilweise totalitären Machtverhältnissen geprägt ist (Stalder, 2019). In diesem Kontext bieten Open Source und Fediverse eine wichtige Alternative. Zwei Fediverse-Projekte werden in diesem Beitrag exemplarisch vorgestellt. Mastodon und Nextcloud werden näher betrachtet, um die praktische Anwendung und den Erfolg von Open Source im digitalen Raum aufzuzeigen. Denn Open Source ist von zentraler Bedeutung für eine nachhaltige digitale Zukunft, in der die Menschen die Kontrolle über ihre Daten und die Gestaltung digitaler Infrastrukturen behalten wollen (Benkler, 2006). Die Flexibilität und ständige Anpassung von Open Source Software verdeutlicht die von Bauman (2000) beschriebene flüssige Moderne, in der traditionelle Strukturen einem ständigen Wandel unterworfen sind. Stalders Prinzipien einer Kultur der Digitalität (Algorithmizität, Gemeinschaftlichkeit und Referenzialität) betonen die Bedeutung von Vernetzung, partizipativer Kultur und dezentraler Kontrolle, was auch den Grundprinzipien von Open Source Software entspricht. In diesem Sinne ist Open Source Software ein Beispiel für die Anpassungsfähigkeit und Vernetzung, die in der flüssigen Moderne und der Kultur der Digitalität zum Ausdruck kommen.

Open Source und Fediverse

Open Source bezieht sich auf Software, deren Quellcode frei zugänglich ist. Dieser Code kann eingesehen, verändert und weitergegeben werden. Open Source Software basiert auf Prinzipien wie Kollaboration, Transparenz und Partizipation und fördert die gemeinschaftliche Entwicklung von Technologien (Benkler, 2006; von Hippel & von Krogh, 2003). Ziel der Open-Source-Bewegung ist es, die Freiheit von Informationen und das Teilen von Wissen zu fördern und dadurch Innovation und Kreativität anzuregen (Lessig, 2004).

Das Fediverse ist ein Netzwerk unabhängiger, interoperabler und dezentraler Plattformen (z. B. Mastodon, Nextcloud, Diaspora), die auf offenen Standards und Protokollen basieren (Dunbar-Hester, 2019). Diese Plattformen ermöglichen den Austausch von Informationen sowie die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen verschiedenen Benutzer:innen, ohne dabei zentralisierte Kontrollinstanzen oder Monopole zu fördern (Dulong de Rosnay & Musiani, 2016). Das Fediverse bietet somit eine Alternative zu zentralisierten Plattformen und ermöglicht eine bessere Kontrolle über Daten, Privatsphäre und digitale Identität.

Dezentralisierung und Autonomie sind die Eckpfeiler des Fediverse. Dies ermöglicht Benutzer:innen und Gemeinschaften nicht nur eine höhere Flexibilität, Skalierbarkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Ausfällen und Zensur, sondern gibt ihnen auch die Kontrolle über ihre Daten, Kommunikation und digitalen Identitäten (zurück) (Dunbar-Hester, 2019). Interoperabilität und offene Standards fördern im Sinne der Entwicklung des WWW die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch (Berners-Lee, 2000), eine größere Vielfalt und Auswahl und verhindern monopolistische Strukturen (Searls, 2015). Dies steht im Gegensatz zu zentralisierten Plattformen, bei denen es häufig zu Datenschutzverletzungen und kommerzieller Datennutzung kommt (Fuchs, 2014). Die dezentrale und verteilte Natur des Fediverse kann jedoch auch zu einer Fragmentierung der Dienste und einer komplexeren Nutzer:innenerfahrung führen (Dulong de Rosnay & Musiani, 2016). Die Moderation und die Bekämpfung von Missbrauch können vor dem Hintergrund von Belästigungen, Hassreden und Fehlinformationen schwieriger sein als in zentralisierten Systemen, da es in der Regel keine Kontrollinstanz gibt. Eine weitere Herausforderung stellt die nachhaltige Entwicklung der Plattformen dar, da Open Source Angebote meist auf freiwillige Beiträge und Spenden angewiesen sind (Bauwens & Kostakis, 2014). 

Beispiele für Open Source und Fediverse: Mastodon und Nextcloud

Mastodon ist ein Open-Source-basiertes soziales Netzwerk, das als dezentrale Alternative zu traditionellen zentralisierten Social-Media-Plattformen dient. Durch die Verwendung des offenen ActivityPub-Protokolls ermöglicht Mastodon die Kommunikation zwischen verschiedenen Instanzen und schafft ein Netzwerk unabhängiger, aber miteinander verbundener Gemeinschaften (Dunbar-Hester, 2019).

Nextcloud ist eine Open-Source-Plattform, die es Benutzer:innen ermöglicht, ihre eigene Cloud-Speicher- und Zusammenarbeitsinfrastruktur einzurichten und zu verwalten. Nextcloud bietet Funktionen wie Dateisynchronisierung, gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten und sichere Kommunikation bei gleichzeitiger Datenkontrolle und Wahrung der Privatsphäre. Auch die Initiative „Bildung und digitaler Kapitalismus“ nutzt Nextcloud als internes Tool zur Kommunikation (Alternative zu E-Mail) und Kollaboration (Alternative zu Diensten wie z.B. Google Docs) sowie zur zentralen Dateiablage (Alternative zu Cloud-Speicherdiensten wie Dropbox, Google Drive etc.). Technische Basis hierfür ist neben Nextcloud selbst ein VPS (Virtual Private Server) eines in Deutschland ansässigen Internet Service Providers. Auch auf diesem Server kommt Open Source Software in Form der Debian Linux Betriebssystem Distribution zum Einsatz.

Nextcloud

Hinweise für die medienpädagogische Praxis

Insbesondere vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz, der Nutzung von Large Language Models sowie Learning Analytics ist es wichtig zu betonen, dass auch Software nicht unabhängig von Macht- und Herrschaftsstrukturen existiert. In Bezug auf die Gestaltung von Bildungsangeboten ist ein aktuelles Beispiel die Diskussion um die Entwicklung einer nationalen Bildungsplattform in Deutschland. Hier spielen u.a. der Bildungsbegriff sowie Annahmen über das Menschenbild eine zentrale Rolle bei der Entwicklung. So weisen Seemann et al. darauf hin, dass im Kontext der Entwicklung einer solchen zentralen Bildungsplattform

das Wort ‚Lernen‘ viel häufiger vorkommt als ‚Bildung‘. Damit sind zwei Probleme verbunden: Zum einen wird Bildung dadurch ‚lernifiziert‘. D.h. es wird als unhinterfragte Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, dass Lernen individuell und zielgerichtet ist und dass die Identifikation des Lern-Outputs – sei es im Sinne von Kompetenzen oder Wissen – allgemein erfassbar ist. Während ‚Lernen‘ häufig instrumentell verstanden wird, d.h. als Schritt auf dem Weg zu einem individuellen Ziel, geht ‚Bildung’ als Kontrastfolie mit Unbestimmtheit einher. Wenn aber am Ende eines Bildungsprozesses eine konkrete Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen stehen soll, muss den Unsicherheiten, produktiven Irritationen und Mehrdeutigkeiten im Lernprozess Raum gegeben werden“ (Seemann et al, 2022).

Vor dem Hintergrund der von Niesyto (2004, 2017) diskutierten Strukturmerkmale des kulturellen und des digitalen Kapitalismus, darunter Aufmerksamkeitserregung, ein quantitatives Wachstumsdenken, die Ökonomisierung und Kommerzialisierung immer weiterer Lebensbereiche und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, ist es wichtig, dass die Medienpädagogik u.a. die Gestaltung von nicht-kommerziellen, offenen und inklusiven Softwareangeboten forciert und in ihre Arbeit integriert. Dazu bedarf es auch einer Thematisierung von politisch-ökonomischen Machtstrukturen und einer kritischen Medienpädagogik, die diese Strukturen anschaulich und lebensweltnah sichtbar macht – zumal diese Medienhandeln von Menschen beeinflussen und auch als Sozialisationsfaktor wirken (Niesyto, ebd.). Lernende benötigen daher die Fähigkeit, digitale Technologien und deren Einfluss auf Macht- und Herrschaftsstrukturen kritisch zu analysieren und gegebenenfalls Alternativen in Form von Open-Source-Angeboten zu nutzen. Darüber hinaus zeigen die oben beschriebenen Aspekte in Bezug auf die Benutzer:innen-Freundlichkeit diverser Open-Source-Angebote, dass gerade im Bildungskontext ein großer Bedarf an Praxisforschung besteht, um Fragen der User Experience (auch in verschiedenen Altersstufen) zu klären und diese auch im Sinne einer Commons basierten Haltung mit den entsprechenden Entwickler:innen zu teilen. Dies betrifft nicht nur explizit für den Bildungskontext entwickelte Software wie Learning Management Systeme (z.B. Moodle), sondern auch Software für den kreativ-produktiven Bereich wie Gimp (Bildbearbeitung) oder Audacity (Audiobearbeitung). Damit kann es gelingen, Alternativen zu kommerziellen Angeboten nicht nur aus Budgetgründen, sondern auch aus Qualitätsgründen für den Einsatz im Bildungsbereich attraktiver zu machen.

Literatur

 

Bauwens, M. & Kostakis, V. (2014). Network Society and Future Scenarios for a Collaborative Economy. Palgrave Macmillan.

Bauman, Zygmunt. 2000. Liquid modernity. Cambridge, UK : Malden, MA: Polity Press ; Blackwell.

Benkler, Y. (2006). The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. Yale University Press.

Berners-Lee, T. (2000). Weaving the Web: The Original Design and Ultimate Destiny of the World Wide Web. HarperCollins.

Dunbar-Hester, C. (2019). Hacking Diversity: The Politics of Inclusion in Open Technology Cultures. Princeton University Press.

Dulong de Rosnay, M., & Musiani, F. (2016). Towards a (De)centralization-Based Typology of Peer Production. TripleC, 14(1), 53-63.

Fuchs, C. (2014). Digital Labor and Karl Marx. Routledge.

Fuchs, C. (2017). Social Media: A Critical Introduction. Sage.

Lessig, L. (2004). Free Culture: The Nature and Future of Creativity. Penguin.

Niesyto, Horst (2004): Aufmerksamkeitserregung. Kritische Anmerkungen zum kulturellen Kapitalismus unserer Zeit und den Aufgaben einer lebensweltorientierten und emanzipatorischen Medienbildung. In: Medien – Bildung – Religion. Zum Verhältnis von Medienpädagogik und Religionspädagogik in Theorie, Empirie und Praxis, hrsg. von Manfred L. Pirner und Thomas Breuer. Schriftenreihe Medienpädagogik interdisziplinär, Band 2. München: kopaed, S. 52-72. [Beitrag als PDF]

Niesyto, Horst (2017): Die Macht der Internetkonzerne und die Herausforderungen für die Medienbildung. In: Zeitschrift „Deutschland & Europa“, Heftthema „Neue Medien und politische Meinungsbildung“, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Heft 74 (2. Quartal 2017), 34. Jahrgang. Stuttgart, S. 46-51. [Beitrag als PDF]

Seemann, Michael, Felicitas Macgilchrist, Christoph Richter, Heidrun Allert, und Jürgen Geuter. 2022. „Konzeptstudie Werte und Strukturen der Nationalen Bildungsplattform“. Herausgegeben von Wikimedia Deutschland e. V. https://www.wikimedia.de/wp-content/uploads/2022/11/Konzeptstudie-Werte-und-Strukturen-der-Nationalen-Bildungsplattform.pdf.

Searls, D. (2015). The Intention Economy: When Customers Take Charge. Harvard Business Review Press.

von Hippel, E., & von Krogh, G. (2003). Open Source Software and the „Private-Collective“ Innovation Model: Issues for Organization Science. Organization Science, 14(2), 209-223.

Zuboff, S. (2019). The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power. Profile Books.